Ältere Menschen werden immer häufiger von Personen umsorgt, denen die eigene Geldvermehrung mehr am Herzenliegt als alles andere. Deshalb gibt es in einigen europäischenNachbarländern für bestimmte Berufsgruppen Testierverbote,um Erbschleicherei wirksam zu begegnen. In Deutschland ist das anders.
Wer erinnert sich nicht an den Pausenhof aus Kindheitstagen, wo derjenige Mitschüler die meisten ,Freunde’ um sich versammelte, dergroßzügig Süßigkeiten verteilte. Und am Ende des Lebens vereinen sich wiederum vermeintliche ,Kümmerer’ um diejenigen Personen, die das größte Vermögen zu vergeben haben. „Das ist nach deutschem Recht nicht per se verwerflich. Selbst das Ansinnen der 40-jährigen Freundin an den 90-jährigen Partner, sie statt der Kinder als Alleinerbin einzusetzen, ist rechtlich nicht angreifbar, solange der Erblasser nicht testierunfähig ist“, stellt Rechtsanwalt Dr. Sven Gelbke fest.
Meist beginnt es mit Drohungen
Grenzwertig sei es dagegen, wenn die Freundin ihrem 90-jährigenFreund damit droht, ihm für den Fall, dass er sie testamentarisch nichtexklusiv bedenkt, die Partnerschaft aufzukündigen oder ihn öffentlichzu kompromittieren. Ebenso könnte eine Pflegerin dem Erblasserdamit drohen, diesen hilflos sterben zu lassen. Oder ein Rechtsanwaltkündigt für den Fall der Nichtberücksichtigung im Testament an, die Firma des Erblassers den Bach runter gehen zu lassen. Nicht zuvergessen den Pfarrer, der mit dem Ende der seelsorgerischen Hilfedroht, falls der Erblasser der Kirche von seinem Vermögenskuchennicht ein ordentliches Stück zukommen lässt.
Der Erblasser muss in eine Notsituation gebracht werden
Ein Testament kann angefochten werden, wenn der Erblasser widerrechtlich durch Drohung zu einer Vermögensverfügung bestimmt worden ist. Dazu ist erforderlich, dass der Testator in eine Notsituation gebracht wird, die er als erhebliches Übel empfindet. Die Drohung des Pfarrers dürfte deshalb nicht schwer genug sein, um daraus eine Notsituation abzuleiten. Auch die Drohung der Freundin, die Beziehung zu beenden, reicht im Zweifel nicht aus. „Im Fall der Pflegerin und des Anwalts sieht es anders aus.
Hier werden über die Drohung Tod oder Insolvenz angekündigt“, erklärt Dr. Sven Gelbke. Letztendlich handele es sich aber stets um Wertungsfragen, die das Gericht zu treffen habe und die durchaus dazu führen könnten, dass Erbschleicher ungeschoren davonkommen und an den gesetzlichen Erben vorbei ein Vermögen erben.
Vorwurf der Sittenwidrigkeit geht ins Leere
Vor Gericht hilft dann auch das immer wieder vorgebrachte Argument nichts, dass ein derart vom Erbschleicher manipuliertes Testament wegen Verstoßes gegen die guten Sitten schlicht nichtig sei. Dr. SvenGelbke, Geschäftsführer des Erbrechtsportals „Die Erbschützer“, weist darauf hin, dass dieser Angriff ins Leere geht. Denn der sittenwidrighandelnde Erbschleicher nimmt ja selbst kein Rechtsgeschäft vor und der ausgenutzte Erblasser ist nur Opfer, verstößt aber selbst nichtgegen die guten Sitten.
Testierunfähigkeit schwer nachzuweisen
Zivilrechtlich bleibt den Erben dann häufig nur noch die Anfechtung des Testaments wegen Testierunfähigkeit des Erblassers. Testierunfähig ist, wer „wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“, wie es in Paragraf 2229 Absatz 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) heißt.
Oft kommt es vor Gericht zu einer Beauftragung eines psychiatrischen Sachverständigen. Das kostet Zeit und Geld. Häufig kommt der Gutachter insbesondere beizeitlich weiter zurückliegenden Sachverhalten zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Erben müssen aber vollumfänglich nachweisen, dass der Erblasser testierunfähig war, wollen sie den Erbschleicher ausstechen.
In Betracht kommt daneben auch noch eine Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit. Danach ist beispielsweise erbunwürdig, wer den Erblasser durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben. Schließlich kann ein Testament auch ungültig sein, wenn es zum Beispiel nicht persönlich, sondern von jemand anderem geschrieben wurde.
Erbschleichern das Leben schwer machen
Einen speziellen Straftatbestand der Erbschleicherei gibt es nicht. Allerdings können andere Straftatbestände in diesem Zusammenhanggreifen. Sollte der Täter etwa ein Testament vernichtet oder versteckthaben, kommt eine Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung oder aufgrund der Vermögenshöhe sogar Betrug in einem besonders schweren Fall in Betracht. Darüber hinaus denkbar sind Urkundenfälschung bei Erstellung eines unrichtigen Testaments sowie falsche Versicherung an Eides statt oder mittelbare Falschbeurkundung etwa wegen der Beantragung des Erbscheins.
Welche Möglichkeiten haben Angehörige jenseits der Strafanzeige, sich gegen Erbschleicher zur Wehr zu setzen? Rechtsanwalt Dr. SvenGelbke: „Faktisch stellt sich dies in der Praxis häufig als sehr komplexdar. Gefälschte Testamente können im Rahmen gerichtlicher Verfahren ggf. durch geschulte Gutachter nachgewiesen werden. Der Nachweis vernichteter oder versteckter Testamente ist naturgemäß sehr schwer.
Allen Erblassern, die die Verwirklichung ihres letzten Willens gesichert, wissen wollen, sei hier wärmstens ans Herz gelegt, ihr Testament beim Nachlassgericht zu hinterlegen.“ Die in der Regel gerade einmal75 Euro können hier also viel Ärger und Streitigkeiten unter den Hinterbliebenen verhindern.
Folgende Indizien sprechen dafür, dass ein Erbschleicher seine Fingerim Spiel hat:
Indiz Nr. 1
Das Tatmotiv: Gier und prekäre finanzielle Verhältnisse
Die Tatmotive sind sehr vielschichtig. Generell macht es das deutsche Recht Erbschleichern leicht. Denn die Erbschleicherei ist kein Straftatbestand. Einigen Erbschleichern mag es darauf ankommen, eine frühere Ungerechtigkeit in der Familie auszugleichen. Andere sind schlicht gierig oder glauben, beim wehrlosen Opfer leichte Beutemachen zu können. Auch verschuldete Personen schleichen sich mitunter an Erblasser ran, um ihre finanzielle Lage zu verbessern.
Quelle: IStockphoto/KatarzynaBialasiewicz
Indiz Nr. 2
Der Täterkreis: Vom Anwalt bis zum Pfleger
Täter können sowohl entfernte wie nahe Angehörige sein. Das selbe gilt für Nachbarn, die die Einsamkeit eines allein lebenden Menschen ausnutzen, wenn sich andere Familienmitglieder nicht kümmern oderweit entfernt wohnen. Aber auch Anwälte, Pfleger, Ärzte oder Pfarrerkommen aufgrund ihrer besonderen Vertrauensposition als Täter in Betracht. Der Erbschleicherei verdächtigt werden vor allem Pflegepersonen, die mit in der Wohnung des Erblassers wohnen.
Sicherer sind insoweit ältere Menschen, die in Seniorenheimen leben. Hier verbietet § 14 des Heimgesetzes Beschäftigten oder sonstigen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern des Heims, sich von oder zugunsten von Bewohnerinnen und Bewohnern neben der vom Träger erbrachten Vergütung Geld- oder geldwerte Leistungen für die Erfüllung der Pflichten aus dem Heimvertrag versprechen oder gewähren zu lassen.
Indiz Nr. 3
Körperliche Gebrechen erschweren die Willensbildung
Bei den über 90-Jährigen hören und/oder sehen die meisten nur nochschlecht, so dass die Aufnahme neuer Informationen sehreingeschränkt erfolgt. Damit ist aber oft die Willensbildung für denErblasser vor Abfassen eines Testaments, Erbvertrags oder einervorweggenommenen Erbfolge nicht mehr möglich.
Indiz Nr. 4
Jemand Unbekanntes zieht ein
Hat der Verstorbene am Ende seines Lebens aus Überzeugung alleingelebt und zieht plötzlich ein Pfleger oder eine Geliebte bei ihm in dieWohnung oder das Haus ein, ist Vorsicht geboten. Das gilt umso mehr,wenn dies den in der Vergangenheit geäußerten Wünschen desTestators widerspricht.
Indiz Nr. 5
Informationsentzug durch den Täter
Nicht selten entziehen die Täter ihren Opfern Brillen oder Hörgeräte, um ihnen wichtige Informationen zu entziehen, damit sie von dem Täter abhängig werden und am Ende in seinem Sinn testieren. Auch wenn der Erblasser an einem Ort in ein Altenheim eingewiesen wird, das die Verwandten nur schwer erreichen können, sollten diese hellhörig werden.
Indiz Nr. 6
Verbreiten gezielter Falschinformationen
Der Plan des Erbschleichers ist perfide: Angehörige werden diskreditiert, indem etwa behauptet wird, der Sohn habe seine Generalvollmacht missbraucht. Dann bietet sich der Erbschleicher als bessere Alternative an. Der Erbschleicher wäscht nachher seine Hände in Unschuld. Er behauptet, ganz im Sinne des Erblassers gehandelt zuhaben. Das erhebliche Eigeninteresse lässt er unerwähnt.
Indiz Nr. 7
Der Erbschleicher nutzt die Vergesslichkeit aus
Ältere Menschen leiden bisweilen an Erinnerungslücken. Das kann dazu führen, dass sie biografische und familiäre Zusammenhänge vergessen und sich in der Folge nicht mehr daran erinnern können, dass sie schon ein Testament geschrieben hatten. Der Erbschleicher hat dann meist leichtes Spiel: Auch gegen die Interessen und Wertvorstellungen des Erblassers gerichtete neue Testamentsentwürfe wird der Erblasser angesichts seiner Geisteserkrankung kritiklosunterschreiben.
Indiz Nr. 8
Der Erblasser ist apathisch oder schwer lethargisch
Leichtes Spiel hat auch der Erbschleicher, dessen Opfer apathisch oderschwer lethargisch ist. So entwickeln Erblasser in späten Jahren eineAversion bezogen auf das Verfassen letztwilliger Verfügungen. Das nutzt der Erbschleicher aus, indem er den Testamentsentwurf allein komplett mit dem Notar vorbespricht und der Erblasser den Inhalt vor dem Notar nur noch abnickt.
Indiz Nr. 9
Der Erblasser leidet an schweren Depressionen
Ein Merkmal schwerer Depressionen besteht in der Entscheidungsunfähigkeit des Erkrankten. Er grübelt über einen langen Zeitraum etwa darüber, wen er nun testamentarisch bedenken soll und wen nicht. Das macht sich der gewiefte Erbschleicher zunutze, indem er dem Erblasser die quälende Entscheidungslast abnimmt“ und sich im Testament einsetzen lässt.
Indiz Nr. 10
Vereinsamter und isolierter Erblasser
Nicht jeder Mensch kommt am Lebensende mit der zunehmenden Einsamkeit klar. Viele freuen sich, wenn sie noch in regelmäßigem Kontakt zu den Angehörigen stehen. Um deren Gunst nicht zuverlieren, gibt es Fälle, in denen Erblasser im hohen Alter mehrere Testamente errichten und dabei jeweils denjenigen Erben bedenken, der gerade anwesend ist. Genauso können Erbschleicher diesen älteren Menschen mit Liebesentzug drohen oder bereits zugesagte Hilfe wieder in Frage stellen. Die Einsamkeit treibt diese Erblasser höchst wahrscheinlich in die Fänge der Täter.
Herausgeber: JustSolutions GmbH, Köln
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